Obst und Gemüse können unfruchtbar machen

Bei manchen kinderlosen Paaren stimmt die Chemie nicht – und das im wahren Sinne des Wortes: Pestizide, Weichmacher, Konservierungsstoffe und andere Substanzen lassen die Fruchtbarkeit sinken.

Von Silvia von der Weiden

 

Jedes sechste Ehepaar bleibt ungewollt kinderlos. In knapp der Hälfte der Fälle finden Reproduktionsmediziner die Ursache beim Mann. Immer öfter lässt die Qualität der Spermien zu wünschen übrig. Mit dem Befund sorgte vor Jahren eine Studie der Universität Kopenhagen weltweit für Aufsehen.

Die Forscher hatten zahlreiche Studien ausgewertet, die bis in das Jahr 1938 zurückreichten, und waren dabei auf einen unerklärlichen Rückgang der Spermienkonzentration im Ejakulat gestoßen. Von der "Fertilitätskrise" seien vor allem Männer aus Industrieländern betroffen, konstatiert die Untersuchung.

Auf der Suche nach möglichen Ursachen ist der zunehmende Gebrauch von Umweltchemikalien, darunter Pestizide, ins Visier von Forschern geraten. Die Verwendung vieler, als gesundheitlich bedenklich eingestufter synthetischer Unkraut- und Insektenvernichtungs- sowie Pflanzenschutzmittel wurde erst in jüngerer Zeit eingeschränkt oder verboten.

 

Hoch belastetes Obst und Gemüse

 

Die These unterstützt eine jetzt im Fachblatt "Human Reproduction" veröffentlichte Studie im Auftrag des US-National Institute of Environmental Health Sciences. Ausgerechnet der als gesundheitsfördernd geltende hohe Verzehr von Obst und Gemüse lieferte dem Team um Jorge Chavarro von der Harvard T.H. Chan School of Public Health in Boston die entscheidenden Anhaltspunkte.

Die Wissenschaftler haben insgesamt 338 Samenproben von 155 Männern analysiert, die sich wegen Fruchtbarkeitsstörungen an ein Kinderwunschzentrum gewendet hatten. Alle füllten detaillierte Fragebögen zu ihren Ernährungsgewohnheiten aus. Dann setzten die Forscher die Angaben zum Verzehr von Obst und Gemüse mit den Pestizidrückständen in Verbindung, die das Pesticide Data Program des US-Landwirtschaftsministeriums für die jeweiligen Sorten ermittelt hat.

Es zeigte sich, dass das Viertel der Männer mit dem höchsten Verzehr von hoch belasteten Obst- und Gemüsesorten durchschnittlich 86 Millionen Spermien im Ejakulat hatte und damit knapp die Hälfte weniger als die am wenigsten belasteten Männer. Diese kamen im Durchschnitt auf 171 Millionen Spermien pro Ejakulat. Der Anteil normal geformter Spermien war bei der Gruppe von Männern, die größere Mengen von Pestiziden mit der Nahrung aufgenommen hatten, mit 5,1 Prozent signifikant kleiner als in der Vergleichsgruppe mit 7,5 Prozent.

 

Informierter einkaufen gegen Kinderlosigkeit

 

Auch wenn es den Anschein hat, dass der Verzehr von reichlich Obst und Gemüse ein Risiko für die Spermienvitalität darstellt, sehen die Forscher keinen Grund, die Ernährung grundsätzlich umzustellen. Stattdessen sollten die Verbraucher informierter einkaufen.

Hilfestellung bietet beispielsweise der aktuelle Bericht der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA). Diese hat knapp 81.000 Lebensmittelproben aus allen EU-Staaten sowie aus Norwegen und Island ausgewertet. Davon stammten zwei Drittel aus europäischen Ländern, ein Drittel aus Drittländern. In gut der Hälfte der Fälle waren keine Pestizide in den Lebensmitteln nachweisbar. Allerdings wurden in Lebensmitteln aus Drittländern die Grenzwerte deutlich öfter überschritten als bei den Produkten aus Europa.

Bei Obst und Gemüse überschritten vor allem Erdbeeren, Salat, Pfirsiche und Äpfel die Höchstwerte, die Sorten wiesen auch am häufigsten Mehrfachrückstände auf. Rund 1,5 Prozent der Proben waren so stark mit Pestiziden belastet, dass die Waren aus dem Verkehr gezogen wurden. Dennoch kommt die Behörde zu dem Schluss, dass das Risiko gering ist, bei einzelnen Mahlzeiten eine gesundheitsschädliche Menge an Pestiziden aufzunehmen.

Über Langzeitwirkungen, die sich durch die Aufsummierung von gesundheitsschädlichen Substanzen ergeben, sagt das freilich noch nicht viel.

 

Weichmacher wirkt wie Östrogen

 

Bei einer weiteren, weitverbreiteten Chemikalie, dem Bisphenol A, haben sich die Indizien bereits so weit verdichtet, dass Teilverbote für den Einsatz ausgesprochen wurden. Der Stoff wird Kunststoffprodukten als Weichmacher zugesetzt und kommt in zahlreichen Alltagsgegenständen vor, aus denen er ausdünstet. In Babyflaschen darf Bisphenol A EU-weit seit Juni 2011 nicht mehr verwendet werden.

Wie sich herausgestellt hat, wirkt der seit Jahrzehnten verwendete Stoff, der sogar im Hausstaub nachweisbar ist, ähnlich wie das weibliche Geschlechtshormon Östrogen – bei ausreichend hohen Mengen und zumindest bei verschiedenen Tierarten. Von der Chemikalie werden jährlich rund 4 Millionen Tonnen weltweit hergestellt. Beim Menschen steht Bisphenol A im Verdacht, an der Entwicklung von Krankheiten, darunter Brustkrebs, beteiligt zu sein. Bei Männern soll Bisphenol A die Zahl und Qualität von Spermien reduzieren – zumindest dann, wenn sie mit dem Stoff arbeiten.

Das legt eine Studie an 218 chinesischen Fabrikarbeitern nahe, die bei ihrer Arbeit teilweise hohen Dosen der Chemikalie ausgesetzt waren. Die Forscher um De-Kun Li von der US-Versicherung Kaiser Permanente in Oakland, Kalifornien, beobachteten die Probanden insgesamt fünf Jahre lang.

 

Viel Bisphenol A – weniger und lahmere Spermien

 

In dieser Zeit wurden regelmäßig Urin- und Spermaproben genommen und analysiert. Zudem fragten die Forscher die Versuchsteilnehmer nach weiteren möglichen Risikofaktoren, Nikotinkonsum, chronischen Krankheiten, bekannten erblichen Krankheiten, die mit verringerter Fruchtbarkeit einhergehen, und dem Kontakt zu anderen, die Fruchtbarkeit beeinträchtigenden Chemikalien sowie Schwermetallen. Die Spermaproben der belasteten Gruppe wurden dann mit denen einer entsprechenden Gruppe unbelasteter Männer verglichen.

Es zeigte sich, dass bei Männern mit sehr hoher Konzentration von Bisphenol A im Urin die Zahl der Spermien im Ejakulat um das Vierfache und die Überlebensfähigkeit der Samenzellen um das Dreifache gesunken waren. Zugleich verdoppelt sich bei ihnen das Risiko einer verminderten Beweglichkeit der Spermien.

Die Wissenschaftler schränken ein, dass die Zahl der Probanden zu klein sei, um sagen zu können, ob Bisphenol A jeden Mann unfruchtbar machen könne. Sie plädieren jedoch für einen weitgehenden Verzicht auf den Stoff. Die sich verdichtende Indizienlage im Falle von Bisphenol A hat die EFSA Anfang dieses Jahres dazu bewogen, den empfohlenen Grenzwert für die umstrittene Chemikalie deutlich herunterzusetzen.

 

Konservierungsstoffe stören Fruchtbarkeit

 

Zu den Verdächtigen, die die Spermienfunktion und männliche Fruchtbarkeit stören, gehören nach den Erkenntnissen einer deutsch-dänische Forschergruppe auch viele Konservierungsstoffe, UV-Blocker und andere Alltagschemikalien. Die Arbeitsgruppen am Forschungszentrum Caesar in Bonn und am Rigshospitalet in Kopenhagen hatten in dem von ihnen entwickelten Testmodell die Wechselwirkung zwischen rund 100 Substanzen und einem Ionenkanal in menschlichen Spermien untersucht. Dieser dient der Spermienzelle als Signalgeber, um die schützende Hülle der Eizelle zu durchdringen.

Etwa 30 der untersuchten Chemikalien stören laut der Studie die natürliche Funktion der molekularen Struktur und damit der Spermien. Darunter sind Bestandteile von Sonnenschutzmitteln wie 4-Methylbenzylidencampher (4-MBC), der Kunststoffweichmacher Di-n-butylphthalat (DnBP) sowie das antibakteriell wirkende Triclosan, das in Zahnpasta und Kosmetika enthalten ist.

Auch Medikamente wie gegen Depressionen eingesetzte Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer können zeitweise die Spermienqualität beeinträchtigen. Darauf macht das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte aufmerksam. Der Effekt sei jedoch reversibel. Einen Beleg für eine dauerhafte Unfruchtbarkeit gebe es nicht.

Für Männer, die gerne Vater werden möchten, gibt es aber auch Grund zur Hoffnung: Entgegen landläufiger Annahmen tut häufiger Sex der Spermienqualität keinen Abbruch, im Gegenteil. Wie Forscher der Klinik am Kinderwunschzentrum in Sydney, Australien, nachgewiesen haben, bringen tägliche Samenergüsse die Spermien sogar auf Trab.

 

Quelle: http://www.welt.de/gesundheit/article139467309/Obst-und-Gemuese-koennen-unfruchtbar-machen.html

13.04.2015 | 3445 Aufrufe