Lebensgeschichte von Martin (Bist du noch ab und zu online?)

Quelle: http://www.n24.de/n24/Nachrichten/Panorama/d/9474674/dieser-mann-hat-80-kinder--ungefaehr--.html

 

Zitat von der Webseite

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Geschichte eines Samenspenders Dieser Mann hat 80 Kinder. Ungefähr …

Martin Bühler hat jahrelang privat Samen gespendet. Mehrere Dutzend Kinder sind daraus entstanden. Doch als seine Frau die gemeinsame Tochter zur Welt brachte, konnte er plötzlich nicht mehr.

Als Martin Bühler zum ersten Mal seine Tochter in den Armen hielt, fühlte er sich sonderbar. Für diesen kleinen Menschen war er zum ersten Mal nicht nur der Erzeuger, sondern tatsächlich der Vater – mit all der dazu gehörenden Verantwortung.

 

Bei allen anderen Kindern hatte er sein Ejakulat abgegeben und sich gefreut, wenn eine Frau schwanger geworden war von ihm. Jetzt bekam auf einmal seine eigene Frau ein Kind von ihm. Und Martin Bühler wusste nicht, wie er damit umgehen sollte.

Jahrelang hatte Martin Bühler seinen Samen gespendet, insgesamt an mehr als 150 Paare. Angefangen hatte seine Kindererzeuger-Karriere Anfang der 90er-Jahre als Job bei einer Samenbank, mit dem er sein Studium mitfinanzierte. Am Ende war es für ihn eine Lebensaufgabe, von der er sich nur sehr schwer lösen konnte. Und doch musste.

Über seine Zeit als Samenspender hat der gebürtige Schwabe ein Buch geschrieben: "Meine 100 Kinder". Der Titel ist mehr dem Marketing geschuldet als der Realität. Tatsächlich, schätzt der Autor, hat er wohl um die 80 Kinder gezeugt, vielleicht auch bloß 50.

Ein Restrisiko gab es immer

Zwölf Samenbanken gibt es in Deutschland, die Bundesregierung plant derzeit die Erstellung einer zentralen Datenbank für Samenspender, geführt beim Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI). Jeder Mensch, der durch eine ärztlich begleitete künstliche Befruchtung per Samenspende erzeugt worden ist, soll sich dort über die eigene Abstammung informieren können.

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Martin Bühler und die Mütter seiner Kinder haben das staatlich vorgesehene System umgangen und sind in die private Parallelwelt gewechselt: ohne Arzt, ohne Gesundheitsgarantie. Dafür mit persönlichem Kennenlernen vor der Befruchtung – und auf Wunsch von Müttern und Kindern auch danach. Abgesichert haben sich beide Seiten zwar mit ärztlichen Attesten und notariellen Verträgen – ein Restrisiko aber ist immer geblieben: zum Beispiel das einer HIV-Infektion beim Spender.

"Da lief vieles auf Vertrauen", sagt Martin Bühler heute. "Ich hatte Glück. Es ist immer alles gut gegangen. Alle Kinder sind gesund, und ich habe mit keiner der Mütter Ärger." Ärger – damit meint er Unterhalts- oder Vaterschaftsklagen. Denn die ersten Befruchtungen, gibt er zu, haben er und die Frauen ganz naiv ohne jede Art von Vertrag gemacht.

Seine erste Tochter ist heute Mitte 20

Nicht in allen Fällen von Samenspende läuft es so glatt wie bei Bühler. Gerade ist ein Urteil des Landgerichts Essen rechtskräftig geworden. Demnach hat ein Kind, das mit Hilfe eines anonymen Samenspenders gezeugt wurde, Anspruch darauf, dass die Ärzte ihm Auskunft über seine Abstammung geben.

Martin Bühler ist inzwischen 44 Jahre alt und seit vielen Jahren kein Samenspender mehr. Er ist kräftig, hat blaugraue Augen und blonde Haare, die grüne Steppjacke lässt er beim Cappuccino an. Mit seiner Partnerin lebt er nahe der Nordseeküste, zu unserem Treffen im Café ist er nach Hamburg gekommen.

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Ein Treffen im Café: So haben später auch die meisten Samenspenden begonnen. Das erste lesbische Pärchen auf der Suche nach männlichem Samen hatte er allerdings noch im Wartebereich der Münchner Samenbank kennen gelernt.

Schnell waren sich die drei einig, die Samenbank bei ihren nächsten Versuchen außen vor zu lassen. Martin Bühler besuchte die Frauen zu Hause, ejakulierte in eine Spritze und eine der Frauen führte sie ein.

Seine erste Tochter ist heute Mitte 20

Das Trio hatte Erfolg. Bühlers erste biologische Tochter ist heute Mitte 20.

Ihm gefiel der Kontakt zu den Frauen, ihm gefiel auch zu wissen, ob sie schwanger werden oder nicht. Die Samenbank war ihm zu anonym, sagt er. "Da wusste ich ja gar nicht, was aus den Samen wird, hatte keinen Überblick." Er wechselte daher ganz ins private Fach.

Werbung musste er nur am Anfang machen, er schaltete einige wenige Anzeigen, der Rest lief über Mund-zu-Mund-Propaganda, vor allem in der lesbischen Community. Frauenpaare waren ihm ohnehin die liebsten Kundinnen. "Frauen gehen an die Sache viel rationaler heran als Männer", sagt er. "Und es gibt keine Schwierigkeiten mit Gefühlen oder Konkurrenz zu einem Partner, der nicht zeugungsfähig ist."

Manchmal brauchte es bis zu zwölf Versuche

Den Ablauf einer Übergabe hat er nach und nach perfektioniert. "Zu Hause ist es doch zu privat." Das erste Kennenlernen war fortan immer im Café. Bei der Entscheidung ging es eher um die gemeinsame Welle als um Optik, familiären Hintergrund oder Bildungsgrad, sagt er. "Da haben die heutigen Auswahlmöglichkeiten bei Samenbanken viel eher etwas mit einer Bestellung aus dem Katalog zu tun als bei uns damals. Es ging darum, dass das Gefühl stimmte: Wir mussten uns vertrauen."

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Hatten sich beide Seiten zu einem Befruchtungsversuch entschieden, begann die Frau ihren Zyklus zu kontrollieren und Hormonwerte zu messen. Stimmte der Wert des follikelstimulierenden Hormons, rief sie Bühler an und die beiden machten das Übergabetreffen für den nächsten Tag aus: in einem Hotel. Während er im Zimmer "Ejakulat gewonnen hat", wie er es formuliert, die Spritze anschließend in ein Handtuch wickelte und aufs Bett legte, warteten die Frauen unten und gingen erst dann gemeinsam aufs Zimmer, wenn er es verlassen hatte. Es brauchte bis zu zwölf Versuche, bis es klappte mit der Schwangerschaft. Natürlich klappte es auch manchmal gar nicht.

100 Euro nahm er pro Samenspritze, plus Spesen für Fahrten und Hotel. Mit jeweils drei bis vier Frauen arbeitete Bühler parallel an einer Schwangerschaft. "Ich habe ständig mit einem Auge auf den Kalender gelebt. Ich musste ja wissen, wie die Zyklen der Frauen liegen. Das war anstrengend, aber mit meiner damaligen Arbeit für eine Großhandelskette einigermaßen zu vereinbaren."

Niemals Geschlechtsverkehr

Doch nicht alle seiner Geschichten klingen so unkompliziert wie die von den lesbischen Paaren im Hotel, die er heute, 20 Jahre später, erzählt. In seinem Buch stehen auch andere Geschichten. Von heterosexuellen Frauen, die nackt im Bett warteten, von Frauen, denen er die Spritze selbst eingeführt hat und von Eheproblemen, weil die Frau sich das Sperma ohne Wissen ihres Mannes eingeführt hat und das Ganze aufflog.

Bühler betont, dass er niemals Geschlechtsverkehr mit einer der Frauen hatte. "Das hat mit Samenspenden nichts zu tun. Wenn ein Spender Sex vorschlägt, gehört das in die Schmuddel-Ecke."

Es gab auch Fragen, die auf einmal in seinem Gehirn aufblitzten, Ängste, die in ihm hochkrochen: wie lange es noch bei der Glückssträhne bleibt oder wann vielleicht doch mal etwas nicht gut geht. Ob er sich emotional weiter aufteilen kann zwischen den Geschichten der fremden Frauen und der eigenen zu Hause. Nein, lautete die Antwort, als seine Ehefrau selbst schwanger wurde.

Sie hatte zwar schon vorher von dem Nebenjob ihres Mannes gewusst und sie hatte ihn akzeptiert. Als aber der erste eigene Nachwuchs unterwegs war, änderte sich das Gefühl dazu – bei beiden.

Er fiel in eine Sinnkrise

Die Entscheidung aufzuhören fiel Martin Bühler zwar nicht wirklich schwer, mit der Konsequenz aber hatte der dutzendfache biologische Vater nicht gerechnet: Er fiel in eine Sinnkrise. Auf einmal war er nicht mehr der Wunscherfüller, der Retter für all die Frauen, denen er seinen Samen für die eigene Lebens- und Familienplanung zur Verfügung gestellt hat.

Zwar sagt er, stolz sei er nie darauf gewesen, seine Gene so weit gestreut zu haben. "Das finde ich krank." Stolz war er aber darauf, so vielen Frauen "geholfen zu haben". Und als er das nicht mehr konnte, da war er auf einmal nur noch Martin Bühler.

Mit dem eigenen und doch erst einmal fremden Säugling im Arm. "Das war schwierig", gibt er heute offen zu. "Vorher hatte ich meine Spende abgegeben. Jetzt trug ich Verantwortung. All das war auf einmal so real."

Monatelang blieb der Vater distanziert, fand keine Verbindung zu seinem ersten echten Kind. Dann nahm er ein Jahr Vaterzeit. Und kam nach und nach hinein in das echte Vater-Sein. Heute ist seine Tochter 13 und er begleitet sie zum Frauenarzt. Sie sind "best buddies", wirklich gute Freunde. Die Ehe ist geschieden, "aber nicht wegen meiner Spenderkarriere", beteuert er. "Wir wohnen nah beieinander und haben ein super Verhältnis."

"Ich bin schließlich nur der Erzeuger"

Neun seiner anderen Kinder hat er bereits kennen gelernt, sie mal besucht oder im Zoo getroffen. "Ein Mädchen ist freudig auf mich zugelaufen, ein anderes blieb distanziert und zeigte so gut wie kein Interesse", erzählt er. "Auch damit muss ich klarkommen. Ich bin schließlich nur der Erzeuger." Und nicht mehr. Er ist kein Vater, der das Leben seiner 50 bis 80 Kinder verfolgt oder Fotos von ihnen am Kühlschrank kleben hat, wie vielleicht ein entfernter Onkel es tun würde. Dieser Vater grenzt sich ab.

Das Buch hat Martin Bühler geschrieben, weil er überzeugt ist, Samenspenden seien ein Thema, das die Gesellschaft tabuisiert – "dabei gibt es sie seit Jahrzehnten". Er hat noch andere Bücher geschrieben, zum Beispiel über eine Radikaldiät, die er vor Jahren gemacht hat, und sieht sich heute als Autor und Publizist.

Wenn eins seiner anderen Kinder ihn eines Tages kennenlernen möchte, sei er jederzeit bereit dazu. Nur was er tut, wenn eines Tages eine Klinik anruft und um eine Spenderniere für eines seiner Kinder bittet, das weiß er heute noch nicht.

Martin Bühler: Meine 100 Kinder. Was ich als privater Samenspender erlebt habe. Riva, München. 9,99 Euro

Weiterlesen: Im Verein "Spenderkinder.de" haben sich Kinder, die durch Samenspende entstanden sind, zusammengefunden. Auf seiner Internetseite informiert der Verein über rechtliche Bedingungen und psychologische Herausforderungen.

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24.11.2016 | 4329 Aufrufe

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