Alles beginnt mit einem Traum, doch der, mit dem der damals 26-jährige Ole Schou einst aufwachte, war schon sehr eigenartig. Ihm schwammen damals gefrorene Spermien durch den Kopf, und als er wieder richtig wach war, dachte er, dass er darüber mehr wissen wollte. Er studierte an der Handelshochschule, mit Medizin hatte er nichts zu tun, mit Fortpflanzung nur privat. Doch dann schmökerte er sich durch alle Bücher, die er zu dem Thema finden konnte, erst nur aus Neugier, wie er versichert.

Das ist jetzt dreißig Jahre her. Inzwischen ist der Däne der Gründer und Chef der weltweit größten privaten Samenbank. Mehr als 17000 Babys hat sie bisher zustande gebracht. Die Klinik Cryos, benannt nach dem griechischen Wort für Eis, liegt im dänischen Aarhus im zweiten Stock eines Bürogebäudes. An den Wänden der langen Gänge hängen Babyfotos und ein Gemälde in Blau, das einer der Kunden über Schous merkwürdigen Traum malte. Im Labor dampfen die Stickstoffbehälter, in denen das Sperma bei minus 196 Grad Celsius tiefgekühlt wird.

Die Kabinen verbinden die Sterilität eines Untersuchungsraums mit dem Charme eines Sexkinos: eine Liege mit Papierlaken, Pappschale, Plastikbecher, Küchenrolle, dazu Männermagazine zum Blättern und ein TV-Schirm mit Pornofilmen, um die Spender in die richtige Stimmung für ihre Handarbeit zu bringen. Die Mitarbeiter tragen Laborkittel und lächeln freundlich, um Peinlichkeiten gar nicht erst aufkommen zu lassen. 25 Euro pro Ejakulat Auf 350 Samenspender kann Cryos ständig zurückgreifen, die meisten sind Studenten, bezahlt wird "nach Qualität und Volumen", im Durchschnitt 25 Euro pro Ejakulat.

 

Die ersten Spender fand Schou, als er vor zwanzig Jahren mit dem Fahrrad durch Aarhus fuhr und an der Uni und in Studentenwohnheimen Zettel aufhängte. Seine Mutter hatte ihm umgerechnet 10000 Euro geborgt, damit begann er seine Karriere. Zunächst konzentrierte er sich auf das Deponieren von Samenproben Krebskranker, die vor der Chemotherapie sicherstellen wollten, dass sie auch später noch Kinder zeugen könnten. Der Durchbruch kam, als in Dänemark Privatkrankenhäuser zugelassen und die Regeln für künstliche Befruchtung liberalisiert wurden.

 

Jetzt ist Cryos der Hoflieferant zahlreicher Kliniken, und die guten Resultate haben darüber hinaus den Export in alle Welt angekurbelt. "Wir sind die Spermagroßhändler", sagt Schou, der selbst kinderlos ist. Alle Samenproben sind gescreent, getestet und werden erst nach sechsmonatiger Quarantäne freigegeben. Er liefert gewaschenes Sperma für die Gebärmutterinsemination und unbehandeltes für vaginale Befruchtung, "hundert verschiedene Sorten" sind im Angebot. "Wie bei einer Molkerei", sagt er, "die bekommt auch Rohmilch und macht Dutzende Produkte daraus." Nur dass er nicht Käse und Sahne vertreibt, sondern Babys, ganz nach den Vorstellungen der Eltern.

 

In der Datenbank von Cryos können Letztere nicht nur nach Rasse und Größe wählen wie im öffentlichen Gesundheitsdienst. Bei Cryos kann man die Samenspender durch Detailsuche sortieren, bis hin zum Lieblingsessen und dem Alter der Großmutter väterlicherseits. Imaginäre Namen mit richtigen Profilen: Soll es Jacob sein, weißer Skandinavier, blaugraue Augen, braunes Haar, 1,95 Meter groß und Designer von Beruf? Oder lieber Brad, Hispanic aus Panama, braunäugig, schwarzhaarig, 1,75 Meter und Polizist?

 

Wer will, kann statt des anonymen auch einen namentlich bekannten Spender wählen. Das kostet mehr, da die Auswahl kleiner ist: Nur jeder fünfte von ihnen ist bereit, seine persönlichen Daten offenzulegen. Zum Vater zurückfinden Als Schweden die Anonymität der Samenspender aufhob, da "jedes Kind das Recht hat, zu wissen, wer sein Vater ist", verschwanden 85 Prozent der Donatoren. Jetzt werden doppelt so viele Schwedinnen in Dänemark inseminiert wie im eigenen Land. Auch in Norwegen, wo ähnliche Regeln gelten, sind die Samenbanken leer.

 

In Dänemark hingegen darf das öffentliche Gesundheitswesen bisher nur anonym abgegebene Samenproben verwenden. Dies soll ein Gesetz ändern, für das es im Kopenhagener Parlament eine Mehrheit zu geben scheint. "Prinzipiell würde ich die Anonymität am liebsten gänzlich eliminieren, da es im Interesse des Kindes ist, zu seinem biologischen Vater zurückfinden zu können", sagt der sozialistische Gesundheitssprecher Jonas Dahl. "Doch wenn volle Offenheit die Zahl der Spender drastisch fallen lässt, muss man dies berücksichtigen." "Wir sehen immer wieder junge Menschen, die ihre Eltern suchen, und wie viel es für sie bedeutet, sie zu finden", meint auch die Konservative Vivi Kjer.

 

Doch auch auf der politischen Rechten will man Offenheit nicht erzwingen. Nicht jeder freut sich, wenn eines Tages ein junger Mensch anruft und sagt: "Hej Papa, ich bin dein Spenderkind." Da ist der ehemalige Spender in einem anderen Lebensabschnitt und anderen Familienverhältnissen und möchte nicht unbedingt mit dem Gelderwerb von anno dazumal konfrontiert werden. "Wenn wir Zwang anwenden, bleiben die Spender weg, und dann bekommen wir zu wenige Kinder", sagt Liselott Blixt von der rechtspopulistischen Dänischen Volkspartei. Die Ärzte der Dänischen Fertilitätsgesellschaft befürworten generell eine größere Wahlfreiheit. "Das jetzige Gesetz ist recht bevormundend", sagt KÃ¥re Rygaard, "und ich sähe es gerne, wenn sowohl Spender als auch kommende Eltern beide Möglichkeiten hätten. Das sind ja erwachsene Menschen, die wissen, was für sie am besten ist." Nicht die Eltern sollten den Spender aufsuchen können, betont die Krankenschwester Lilian Jørgensen. "Es ist allein das Kind, das an seinem 18. Geburtstag die Identität des Erzeugers erfahren soll." Bekannte oder unbekannte Samenspender? "Man braucht beides, weil für beides Bedarf herrscht", sagt Ole Schou.

 

Die meisten Paare zögen anonyme Spender vor, ist seine Erfahrung. Alleinstehende und lesbische Frauen wollten oft wissen, von wem das Sperma stammt. Vor zwanzig Jahren bestanden Schous Kunden ausschließlich aus unfreiwillig kinderlosen, heterosexuellen Paaren. Inzwischen machen Lesben zehn und Single-Frauen gar dreißig Prozent des Markts aus. Deren Anteil werde weiter steigen: "Gut ausgebildete Frauen, die wegen ihrer Karriere keine Zeit hatten, den richtigen Partner zu finden, wollen sich ihren Kinderwunsch auf diesem Weg erfüllen." Regeln, um dies zu verhindern, wie in Italien, wo Spendersamen gänzlich verboten ist, führten selten ans Ziel, sagt Schou. Dann öffne sich eben ein grauer Markt. "Nicht der Sextrieb ist essenziell für den Menschen, sondern der Reproduktionstrieb." Cryos profitiert davon. Die Klinik schickt das gefrorene Ejakulat im Stickstoffbehälter oder auf Trockeneis an den Arzt, der die Behandlung durchführen soll.

 

Zwischen 100 und 300 Euro kostet eine Portion, die Fracht kommt hinzu. "Schon im ersten Zyklus beträgt die Erfolgschance 25 bis 30 Prozent", sagt Schou, nach sechs Versuchen sind 60 Prozent der Frauen schwanger, nach zwölf Behandlungen acht von zehn. Kinderfotos der Spender sind sehr gefragt, auch Videos kann sich Schou vorstellen, wenn sich der US-Trend durchsetzt, sich Babys als "Look-a-likes" von Prominenten zu wünschen. Ein Junge wie Brad Pitt, ein Töchterchen wie Jennifer Lopez? Noch überwiegt der Wunsch, ein Kind zu planen, das zur eigenen Familie passt. "Es mag seltsam klingen, wenn eine Frau einen Spender mit Doktortitel wünscht. Aber wenn sie selbst Akademikerin ist, mag es verständlich sein." Ole Schou hat keinerlei Bedenken, bei der Zeugung von Designerbabys mitzuhelfen. "Die Frauen wählen nach ihren Selektionskriterien, wie im wirklichen Leben. Da paaren sie sich ja auch nicht mit dem Ersten, der um die Ecke kommt." Die genetische Auswahl sei im Darwinschen Sinn natürlich, und eine zufällige Spermaselektion, wie sie im öffentlichen Gesundheitsdienst geschehe, setze den "Designermechanismus" außer Kraft.

 

Zu viele Rothaarige, zu wenige Inder Die Nachfrage nach Informationen über die Spender ist groß, vor allem aus den USA. "Dort leben viele Nachfahren skandinavischer Auswanderer, die brauchen jetzt Reserveteile von daheim", sagt der Cryos-Chef. Als die US-Behörden wegen der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit ein Importverbot verhängten, machte er eine Niederlassung in New York auf. Auch in Indien gibt es eine Cryos-Filiale. Dort hatte die Regierung den Export alles biologischen Materials untersagt, "doch auch die europäischen Nachfahren der Inder haben Bedarf". In Aarhus lässt sich nicht jede Nachfrage befriedigen. "1,70 Meter große, rothaarige Dänen haben wir mehr als genug", sagt Schou. Männer aus ethnischen Minderheiten als Spender anzuwerben, habe sich vor Ort als kompliziert erwiesen. Geld hilft nicht. "Nicht viele tun das des Geldes wegen, aber niemand tut es ohne", ist Schous Erfahrung, seit das dänische Steueramt die Spender unter die Lupe nehmen wollte.

Alles ist in Dänemark steuerpflichtig, selbst das Babysitten, prinzipiell zumindest. Warum sollte es für Samenproben eine Ausnahme geben? Doch eine Steuerpflicht hätte das Geschäft ruiniert. 93 Prozent der Spender sagen, sie würden abspringen, nicht so sehr des Geldes wegen, aber wegen der dann notwendigen Registrierung. Nicht jeder will als Samenspender in einer öffentlichen Liste stehen. Man fand einen Kompromiss: Das Honorar ist steuer-, aber nicht meldepflichtig. Das heißt: Cryos braucht seine Lieferanten nicht anzugeben. Dann ist es deren Gewissensfrage, ob sie ihren Nebenverdienst melden wollen oder nicht. "Jetzt habe ich eine Tochter. Ich möchte Ihnen aus ganzem Herzen für dieses Wunder danken", schrieb eine Mutter aus den USA nach erfolgreicher Behandlung. "Ich bin so dankbar für meinen kleinen Sohn, er ist das Licht meines Lebens", ließ eine Dänin Cryos wissen.

 Diese Dankbriefe seien das Beste am Job, sagt der Herr der Spermien. "Danke für die Hilfe für zwei wunderbare Kinder, ohne die das Leben ärmer wäre", schrieb ein Vater. "Ihr habt uns die Chance gegeben, trotz Spendersamen zwei biologische Geschwister zu bekommen", dankte eine schwedische Mutter. Bei Cryos wird jede gemeldete Schwangerschaft registriert, das Zählwerk tickt, Tag für Tag. Inzwischen ist das 17210. Baby geboren worden.

 

26.09.2012 | 4308 Aufrufe

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