Bundesverfassungsgericht Adoptionsrecht: Für das Kindeswohl
Myriam Siegert, 18.12.2012 16:26 Uhr

Regenbogenfamilien, also eine Familie mit zwei Mamas oder zwei Papas, sind heute gar nicht mehr so selten. (Foto: dpa)
Das Bundesverfassungsgericht verhandelt über das Adoptionsrecht für Homosexuelle. Ein positives Urteil wäre ein weiterer Schritt zur Gleichstellung von Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft.
München - Eine Familie mit zwei Mamas oder zwei Papas ist heute gar nicht mehr so selten. Regenbogenfamilien nennt man die Familienform, in der Kinder bei zwei gleichgeschlechtlichen Partnern leben. Trotzdem sind die Familien rechtlich der klassischen Vater-Mutter-Kind-Familie noch immer nicht gleichgestellt. Etwa beim Thema Adoption. Ein Aspekt der Ungleichbehandlung wird nun vielleicht bald abgeschafft. Seit gestern verhandelt das Bundesverfassungsgericht über das Verbot für Homosexuelle ein Adoptivkind ihres eingetragenen Lebenspartners ebenfalls zu adoptieren.
„Die Gesellschaft ist schon viel weiter als die Politik“, sagt die Sozialpädagogin Stephanie Gerlach. Sie kämpft seit Jahrzehnten für die Regenbogenfamilien und hat bereits zwei Bücher zum Thema verfasst.
Vorurteile gegen gleichgeschlechtliche Eltern gibt es immer noch. Dabei gibt es mittlerweile eine Vielzahl von Studien, die diese beerdigen: 2009 kam das Münchner Staatsinstitut für Frühpädagogik (IFP) zu dem Schluss: „Entscheidend für die Entwicklung der Kinder ist nicht die Struktur der Familie, sondern die Qualität der innerfamiliären Beziehungen.“ Die Kinder entwickeln sich völlig gesund, haben oft sogar eine höhere Sozialkompetenz.
Was wird verhandelt? Ausgangspunkt sind die Fälle zweier homosexueller Paare. Bei beiden besteht eine eingetragenen Lebenspartnerschaft, in die ein Partner ein Adoptivkind mitgebracht hat, das der jeweilige Ehepartner adoptieren möchte. Diese Sukzessiv- oder Zweitadoption ist bisher verboten. Seit 2005 dürfen eingetragene Lebenspartner nur das leibliche Kind ihres Partners adoptieren (Stiefkindadoption). So kann ein Kind rechtlich zwei Mütter oder Väter haben.
Woran hakt es? Die Regelung passt nicht zur Lebensrealität der Familien. Die Stiefkindadoption betrifft meist Kinder aus lesbischen Beziehungen, die gemeinsam geplant und aufgezogen werden. Eine Partnerin bekommt das Kind durch eine Samenspende und ist leibliche Mutter. Die andere Mama muss das Kind adoptieren – oft ein jahrelanger bürokratischer Prozess. Das Verbot der Zweitadoption trifft lesbische und schwule Paare, die keine leiblichen Kinder bekommen können oder wollen. Und es diskriminiert Adoptivkinder.
Warum ist die Adoption wichtig? „Es geht um das Kindeswohl“, sagt Stephanie Gerlach. „Kinder haben das Recht auf vollständige Absicherung.“ Weil Homosexuelle nur als Alleinstehende und nicht als Paar adoptieren dürfen, hat nur ein Partner das Sorgerecht. Problematisch wird das spätestens im Fall einer Trennung, oder wenn dem sorgeberechtigten Elternteil etwas passiert. Deshalb braucht es die Gleichstellung mit heterosexuellen Ehepaaren. Ihr Fazit: „Jede Diskriminierung von lesbischen oder schwulen Eltern trifft die Kinder.“
Quelle: http://www.abendzeitung-muenchen.de/inhalt.bundesverfassungsgericht-adoptionsrecht-fuer-das-kindeswohl.cb0edcfe-249f-43b2-b967-0d9100af92e1.html
„Genauso gute Eltern“
Klare Tendenz: Das Adoptionsrecht für Schwule und Lesben muss ausgeweitet werden. Kinder könnten Sicherheit, Unterhalts- und Erbansprüche gewinnen.
Schön wär's, das gleiche Recht bei Adoptionen. Bald vielleicht Realität. (Bild: dapd)
KARLSRUHE taz | Selten gab es am Bundesverfassungsgericht so viel Einigkeit zwischen Klägern, fast allen Sachverständigen und auch den Richtern. Das Urteil wurde bei der Verhandlung am Dienstag zwar noch nicht verkündet, aber die Tendenz war mit Händen zu greifen: Das Adoptionsrecht von eingetragenen homosexuellen Partnerschaften muss ausgeweitet werden.
Derzeit können Schwule und Lesben nur in zwei Konstellationen Kinder adoptieren: Als Einzelpersonen können sie schon immer ein fremdes Kind annehmen. Seit 2005 gibt es zusätzlich die sogenannte Stiefkindadoption. Hier bringt einer der Partner ein leibliches Kind in die Beziehung ein und der andere Partner adoptiert es dann.
Verboten sind derzeit aber zwei andere Konstellationen: Homosexuelle Partner können nicht gemeinsam ein fremdes Kind adoptieren. Auch die sogenannte Zweitadoption ist nicht möglich, bei der erst ein Partner als Einzelperson das fremde Kind annimmt und anschließend der andere Partner zusätzlich adoptiert.
Um diese Zweitadoption, auch Sukzessivadoption genannt, ging es jetzt in zwei Fällen in Karlsruhe. Der erste Fall spielt in Münster. Eine lesbische 58-jährige Innenarchitektin hatte vor rund neun Jahren in Bulgarien ein Mädchen adoptiert, das inzwischen 13 Jahre alt ist. Die Architektin lebt schon seit zwanzig Jahren mit ihrer Freundin zusammen, einer heute 53-jährigen Ärztin. Diese würde das Mädchen gerne auch adoptieren, darf aber nicht.
Das Oberlandesgericht Hamm verteidigte die geltende Rechtslage: Der Schutz des Kindes sei „am ehesten in einer aus Vater, Mutter und Kind bestehenden Familie gewährleistet“. Die Ärztin erhob Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil und die Gesetzeslage.
Kein Grund zur Diskriminierung
Ähnlich ist der zweite Fall aus Hamburg. Hier geht es jedoch um ein schwules Paar. Ein Partner hat vor 12 Jahren ein neugeborenes Kind aus Rumänien adoptiert. Sein Partner würde gerne auch Vater sein, darf aber nicht. In Hamburg zweifelt auch das dortige Oberlandesgericht an der Gesetzeslage und legte diese dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vor. Die Diskriminierung sei nicht gerechtfertigt.
Faktische Unterstützung gab es in Karlsruhe von Birgit Grundmann, Staatssekretärin im Justizministerium. „Gleichgeschlechtliche Partner sind genauso gute Eltern“, sagte sie unter Berufung auf eine Studie ihres Ministeriums. Die Entwicklung von Kindern sei in solchen Familien genauso gut. In der Regel erlebten die Kinder keine Stigmatisierung, und wenn doch, könnten die Eltern sie gut auffangen.
Michael Coester vom Familiengerichtstag wies darauf hin, dass die Kinder in beiden Fällen schon seit Jahren in den Familien mit zwei Müttern oder zwei Vätern lebten. Sie könnten durch eine zusätzliche Adoption des anderen Elternteils nur gewinnen: Sicherheit, Unterhalts- und Erbansprüche.
Auch gegen eine eventuelle Hänselei in der Schule helfe es nicht, wenn das zweite Elternteil kein Adoptionsrecht habe. „Gesellschaftliche Diskriminierung darf nicht auch noch Anlass für rechtliche Diskriminierung sein“, warnte Marion von zur Gathen vom Paritätischen Wohlfahrtsverband. Die psychologischen Sachverständigen Sonja Schwarz und Anja Kannegießer wiesen darauf hin, dass es für die Erziehung von Kindern nicht gut sei, wenn die sozialen Eltern nicht gleichberechtigt sind.
„Du hast mir gar nichts zu sagen“, könne ein pubertierendes Kind dann dem Elternteil entgegenhalten, das rechtlich nur die Partnerin der Mutter ist. Auch im Fall einer Trennung der Homopartnerschaft könne es Probleme geben, betonte Thomas Meysen vom Deutschen Institut für Jugendhilfe und Familienrecht. „Nur wenn beide Partner das Sorgerecht haben, kann das Familiengericht anhand des Kindeswohls prüfen, bei wem das Kind künftig leben soll.“
Angst vor einer konservativen Kampagne
Nach derzeitiger Rechtslage komme das Kind automatisch zu dem Elternteil, der es adoptiert hat. Der Grünen-Abgeordnete Volker Beck berichtete aus der Praxis der Gesetzgebung. Es habe keine sachlichen, sondern nur politische Gründe gehabt, dass 2004 nur die Stiefkindadoption beschlossen wurde, nicht aber auch die Zweitadoption: „Unser Koalitionspartner, die SPD, hatte Angst vor einer konservativen Kampagne, wenn Homosexuellen ein zu großzügiges Adoptionsrecht gewährt wird.“ Nun müsse leider wieder das Bundesverfassungsgericht bei der Gleichstellung nachhelfen.
Die Richter, auch der konservative Senatsvorsitzende Ferdinand Kirchhoff, zeigten sich dazu gerne bereit. Als einer von zehn Sachverständigen, Klaus Zeh vom Deutschen Familienverband, die geltende Rechtslage verteidigte, versuchten gleich mehrere Richter, ihn von deren Mängeln zu überzeugen.
Das Urteil wird vermutlich nur das Verbot der Zweitadoption beanstanden. Das Verbot der gemeinsamen homosexuellen Adoption wird dann aber auch nicht mehr lange zu halten sein.
Quelle: http://www.taz.de/Homosexuelle-Adoptiveltern/!107681/
18.12.2012