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Die Debatte um das „Recht auf Kenntnis der Abstammung“ behandelt nicht nur moralische Fragen, sondern beinhaltet auch juristische Aspekte. In den Neunzigern war für einen Samenspender, der über eine Samenbank spendet, in Deutschland noch volle Anonymität gegeben. Die rechtliche Situation ändert sich schleichend. Hier dazu ein Text:

„Zwar urteilte das Bundesverfassungsgericht schon 1989 über das ‚Recht auf Kenntnis der Abstammung’ in einem Fall, welcher nicht mit Reproduktionstechnologien zusammenhing. Dennoch war es bundesweit, bis sich die Einführung der Geweberichtlinie der EU abzeichnete, in vielen Kliniken gängige Praxis, Akten nach einer zehnjährigen Lagerungszeit zu vernichten. Wer heute als Erwachsener in Deutschland über seinen Samenspender recherchieren möchte, kann nur darauf hoffen, dass in der betreffenden Klinik Spenderdaten doch anders und dauerhafter verwaltet wurden.

In Deutschland ändern sich derzeit die Regelungen zur Samenspende nur schleichend. Damit unterscheidet sich die Situation von anderen europäischen Ländern, wo es umfassende Reformen gab: Großbritannien schaffte beispielsweise die Spenderanonymität 2005 prinzipiell ab.
In Deutschland existiert dagegen eine große rechtliche Grauzone. Zumindest seit dem Bundesverfassungsgerichtsurteil von 1989 gibt es keine gesichert erscheinende Spenderanonymität mehr, weil es wahrscheinlich wurde, dass bald auch ein Präzedenzfall für den Bereich der Samenspende verhandelt werden würde. Gesetzlich verankert war die Spenderanonymität in Deutschland aber sowieso nie. Seit 2004 ist es nun die EU, welche mit ihrer Gewebe-Richtlinie Samenspendepraxis und ‚Informationsmanagement’ in Deutschland neu zu strukturieren beginnt – allerdings eher als unintendierter Nebeneffekt: Denn die Richtlinie zielt vornehmlich darauf ab, neuartige medizinische Therapieformen mit menschlichem Gewebe zu regulieren und zu vereinheitlichen, und umfasst damit auch den Umgang mit menschlichen Keimzellen. Seit 2007 ist die EU-Richtlinie in die deutsche Gesetzgebung umgesetzt. Viele Samenbanken begannen aber schon vorher, sich auf die neuen Regeln einzustellen. Wichtigste Neuerung im ‚Informationsmanagement’ ist die nun durch die EU-Initiative festgelegte Lagerung aller Spenderdaten über einen Zeitraum von 30 Jahren. Da Spenderdaten nun gesichert bis zur Volljährigkeit betroffener Kinder gespeichert werden müssen und Rechtssicherheit bezüglich der Spenderanonymität schon seit den 1980er Jahren nicht mehr besteht, ist die Samenspende wieder ein bisschen – sagen wir – weniger anonym geworden. Zudem wird im deutschen Gewebegesetz von 2007 ausdrücklich hervorgehoben, dass im Gegensatz zur anonymen Organspende ‚im Falle der Samenspende das Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung’ vorherrscht.
Eine umfassende Regelung, was dieses praktisch bedeutet, gibt es jedoch nicht, wie die Bundesärztekammer schon im Gesetzgebungsprozess kritisierte. Sie hob hervor, dass weitreichende Rechtsfragen im Bereich der heterologen, also spendenbasierten, Samenspende durch das Gesetz ‚auch nicht ansatzweise geregelt werden‚: Erbrecht und Unterhaltsfragen sind weiterhin ungeklärt. (Es sei allerdings eingeräumt, dass das bedrohliche Szenario eines seinen Samenspender verklagenden Kindes recht hypothetisch erscheint; es sagt vermutlich eher etwas über die konservativen Vorstellungen von Familie und exklusiver Elternschaft derjenigen aus, die davor warnen). Weiterhin ist auch unklar, wie die Datenvergabe an das betroffene Kind genau ablaufen sollte. Muss das Interesse begründet werden? Wie wird der Spender benachrichtigt? Die ärztliche Interessenvertretung ‚Arbeitskreis Donogene Insemination’ empfiehlt recht vage, die Samenbank könne an einem Zusammentreffen von Spender und Kind ‚in einem der Situation angemessenen, würdigen Rahmen mitwirken. Die Samenbank sollte den Spender auf die Möglichkeit einer psychosozialen Begleitung in diesem Fall hinweisen.’

[...]

Welche neuen alltäglichen Strategien entwickeln sich nun im Umgang mit den Spenderdaten? Ein interviewter Samenbankbetreiber erklärt, er interpretiere nach neuer Rechtslage zwar vorrangig Gynäkologen als auskunftspflichtig gegenüber den gezeugten Kindern, würde sich aber Rechercheanfragen Betroffener nicht prinzipiell verschließen. Letztendlich habe es in Deutschland ja sowieso nie das verbriefte Recht auf Spenderanonymität gegeben. Ein anderer Samenbankbetreiber aus dem Ruhrgebiet verweist darauf, dass er aus Eigeninitiative bereits seit 1981 Spenderdaten sammelt, diese bisher aber noch nie herausgegeben hat. Er erzählt auch, dass gegen einen früheren Arbeitgeber, ein Universitätsklinikum, ein Verfahren läuft. Eine 1979 geborene Frau versucht, die Identität ihres Spender-Vaters zu klären; doch die Akten sind längst vernichtet.
Das Verwandtschaftswissen, um das es den Betroffenen geht, wenn sie Spendeninformationen einfordern, wird von der britischen Sozialanthropologin Marilyn Strathern als ‚konstitutives Wissen’ charakterisiert. Letztendlich entsteht die soziale Institution Verwandtschaft über den Umgang mit Wissen. Strathern argumentiert, dass Verwandtschaftswissen sich nicht einfach nach dem Prinzip einer persönlichen „Verwertbarkeit“ annehmen oder ablehnen lässt. Denn dieses Wissen hat unmittelbare Folgen für die Identität der Akteure und Akteurinnen. Im Rahmen der westlichen biologischen Verwandtschaftsvorstellungen macht das genetische Herkunftswissen unmittelbar etwas mit unserem sense of self – unserem ‚Selbstsinn’.
Diese Sichtweise lässt sich - und dies ist in den Sozialwissenschaften und gerade in der Sozialanthropologie völlig zu Recht oft der Fall - nicht einfach in politikrelevante Vorschläge ‚übersetzen’. Stratherns Analyse mahnt aber zu einem Umgang mit Verwandtschaftswissen, der der Sensibilität dieser Daten Rechnung trägt. Und sie macht verständlich, warum Eltern es als Konflikt erfahren, wie sie mit der Entstehungsgeschichte ihres Kindes umgehen sollen: Einerseits gilt die genetisch verwandte Kleinfamilie immer noch als vorherrschendes Modell; andererseits gibt es das oft lautstark eingeforderte ‚Recht auf Wissen’. Oft werden Eltern vorschnell verurteilt, das Kindeswohl selbstsüchtig zu verletzen, wenn sie ihrem Kind Informationen vorenthalten. Ausführlicher werden diese Dilemmata in Großbritannien diskutiert. Feministische Positionen in der Sozialwissenschaft tendieren dazu, sich eher für die Spenderanonymität einzusetzen, da sie das Recht auf Wissen über die biologische Herkunft in den Zusammenhang einer gesellschaftlichen ‚Genetisierung’ stellen. Dem wäre aber auch wiederum entgegenzusetzen: Wird dem Wissen um die genetische Herkunft nicht gerade durch strenge Anonymitätsregelungen eine übermäßige gesellschaftliche Bedeutung zugesprochen? So argumentiert zum Beispiel die Soziologin Erica Haimes.“  

http://www.gen-ethisches-netzwerk.de/gid/190/klotz/samenspende-lost-translation

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